In der heutigen Schullandschaft ist Differenzierung nicht nur ein pädagogisches Schlagwort, sondern eine Notwendigkeit. Die Heterogenität der Lernergruppen in der Sekundarstufe I ist eine Herausforderung, die sich u.a. im Bereich der Lesekompetenz immer stärker bemerkbar macht, sodass auch hier differenzierte Herangehensweisen unabdingbar werden.
Die Lesekompetenz ist jedoch eine der grundlegenden Fertigkeiten, die Schüler*innen während ihrer Schullaufbahn entwickeln müssen. Sie bildet die Basis für den Zugang zu unserer Gesellschaft, zu Wissen und auch zur politischen Mitbestimmung. Studien zeigen aber, dass die Unterschiede im Leseniveau der Schüler in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben – und letztlich damit einhergehend ebenfalls die Lesemotivation und die Lesekultur der Jugendlichen.
Diese Veränderung stellt die Lehrenden vor die Aufgabe, den unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten unserer Schüler*innen gerecht zu werden – eine Aufgabe, die mit einer Klassenlektüre immer weniger lösbar erscheint. Ein probates Mittel, die unterschiedlichen Niveaus auszugleichen, ist der Einsatz von Leseprojekten wie z.B. das Lesetagebuch. Auch diese Methode kann gruppeninhärent noch weiter differenziert werden.
Differenzierung im Lesetagebuch: Drei effektive Ansätze
Um dieser Herausforderung zu begegnen, gibt es mehrere Ansätze, das Lesetagebuch differenziert einzusetzen. Im Folgenden werden drei effektive Methoden vorgestellt, die helfen können, den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schüler*innen zu begegnen und ihnen ebenfalls ein besseres Leseerlebnis zu bescheren, sodass ihre Lesehaltung gleichermaßen gestärkt werden kann.
Romane in einfacher Sprache
Eine Möglichkeit der Differenzierung sind Romane, die ebenfalls in einfacher Sprache existieren. Diese Versionen sind speziell für Schüler*innen mit schwächeren Lesekompetenzen konzipiert und vereinfachen sowohl die Sprache als auch die Handlung der Originalwerke. Dies ermöglicht es der gesamten Klasse, sich mit denselben literarischen Themen auseinanderzusetzen, unabhängig von ihrem individuellen Leseniveau.
Romane in einfacher Sprache senken in der Unterstufe die Leseschwelle und fördern das Leseverständnis, ohne unbedingt wesentliche Aspekte der inhaltlichen Tiefe zu opfern. (In der Mittel- und Oberstufe sicherlich schon, aber dies ist ein anderes Blatt)
Immer mehr Jugendverlage bieten bekannte Jugendromane als Sonderausgabe in einfacher Sprache an, z.B. der Arena Verlag mit Boy 7, die Duftapotheke oder den Woodwalkers oder der Spaß am Lesen Verlag mit Erebos, Die Welle oder Im Meer schwimmen Krokodile*. Ich begrüße es sehr, dass die Auswahl solcher Lektüren in den letzten Jahren immens gestiegen ist.
Durch die Bereitstellung von Büchern in einfacher Sprache können Lehrkräfte sicherstellen, dass alle Schüler Zugang zu literarischen Werken haben und sich aktiv mit der Lektüre auseinandersetzen. Dies schafft hinsichtlich des Lesetagebuchs eine inklusive Lernumgebung, in der jeder Lernende die Chance hat, seine Lese- und Sprachkompetenzen zu verbessern.
Mehrere Ganzschriften zur Wahl stellen
Ein weiterer Ansatz zur Differenzierung ist die Bereitstellung mehrerer Jugendromane zur Auswahl. Anstatt alle Schüler*innen mit demselben Buch zu konfrontieren, biete ich eine kleine Auswahl von 3-4 Lektüren an, die unterschiedliche Themen und Schwierigkeitsgrade abdecken. Diese Methode ermöglicht es meiner Lerngruppe, ein Buch zu wählen, das ihren Interessen und ihrem Leseniveau entspricht. Die Auswahl der Bücher kann dabei thematisch aufeinander abgestimmt sein, sodass trotz der unterschiedlichen Lektüren gemeinsame Diskussionen und Aktivitäten möglich sind, wie z.B. Romane rund ums Thema Umweltschutz, Freundschaft oder Zukunftsvisionen.
Durch die Wahlfreiheit im Lesetagebuch wird die intrinsische Motivation der Schüler*innen gefördert, da sie die Möglichkeit haben, sich für eine Lektüre zu entscheiden, die sie wirklich interessiert. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich intensiv mit dem Text auseinandersetzen und fördert so nachhaltig die Entwicklung ihrer Lesekompetenz sowie Lesehaltung.
Näheres dazu, warum ich mir mit den Schüler*innen für diese Auswahl eine gesamte Doppelstunde nehme, findest du übrigens in meinem Blogartikel „Die Macht der Mitbestimmung“ *click*
Innerhalb der Aufgaben differenzieren
Eine weitere wirksame Methode zur Differenzierung im Lesetagebuch besteht darin, die Aufgabenstellungen selbst zu variieren. Dabei geht es nicht darum, mehr Aufgaben zu einem Buch zu entwickeln, sondern die Aufgaben so zu stellen, dass der Grundkurs eventuell mehr Hilfestellung erfährt oder der Leistungskurs die gleiche Aufgabe auf einer höheren Metaebene löst. Dies kann durch unterschiedliche Operatoren gewährleistet werden, aber auch durch die Zuordnung anderer Figuren und Szenen sowie alleine durch das Aufgabenformat.
Was ich damit meine, lege ich dir anhand der folgenden Aufgaben dar:
- Stelle für die Figur [Name] eine Playlist zusammen aus sieben Songs, welche die Figur nach der Situation in Kapitel [X] sicherlich hören würde. Erläutere dann in rund 80 Wörtern, warum du gerade diese Songs oder diesen Musiker ausgewählt hast.
Differenzierung für den LK: Suche dir einen dieser Songs aus und erläutere, warum gerade dieser Text so passend für die Situation ist. Nutze hierzu ebenfalls ein Zitat aus dem Song.Der LK führt hier die Aufgabe weiter aus und vertieft das Thema, indem das Textverstehen eines Songtexts ergänzend hinzugezogen werden muss.
- Der Roman spielt in einem anderen Land. Führe eine Bildrecherche zu diesem Land durch und fertige eine Collage an. Würdest du in diesem Land leben wollen? Begründe kurz.
Differenzierung für den LK: Welche Auswirkungen hat dieses Setting auf die Story? Würde die Geschichte anders ausgehen, wenn sie hier spielen würde? Begründe.
Der LK überträgt die Aufgabe weiter auf den Roman und geht in analytische Kompetenzen über. Eine weitere Möglichkeit wäre, dem GK eine einfach strukturiertere Frage hierzu an die Hand zu geben, z.B. Denkst du, der Ort ist für die Handlung / Story wichtig – sodass über die Operatoren bzw. die Fragestellung differenziert wird.
- Entwirf mithilfe von zeoob.com ein Fake Instagram Profil für Figur [X]. Entwirf mindestens 3-4 Posts mit einer kurzen Caption.
Differenzierung für den LK: Ergänze Kommentare der Freunde und Mitschüler zu den Posts.
- Such dir einen Partner. Führt gemeinsam ein erfundenes Autoreninterview (Figureninterview) durch. Einer übernimmt die Rolle des Reporters, einer die des Autors. Denkt euch Fragen und Antworten aus. Nehmt das Interview anschließend auf (fallsein digitales Lesetagebuch angefertigt wird). Jeder von euch kann dieses Interview für sein Lesetagebuch nutzen.
Differenzierung für den GK: Fragenkatalog als Hilfestellung an die Hand geben.
Differenzierung für den LK: Reflexion über das Interview schreiben lassen oder ein situatives Figureninterview stattdessen durchführen lassen.
Was ich hiermit zeigen möchte: Die Differenzierung kann zeitsparend und -effizient durchgeführt werden, ohne dass dies eine riesige Mehrarbeit für die Lehrkraft darstellt. Durch die differenzierte Gestaltung der Aufgaben können Lehrkräfte aber sicherstellen, dass alle Schüler*innen entsprechend ihrer Fähigkeiten gefordert und gefördert werden. Dies unterstützt nicht nur die individuelle Entwicklung, sondern ermöglicht es den Schülern auch, ihre eigenen Fortschritte und Erfolge im Umgang mit literarischen Texten zu erleben.
Fazit: Differenzierung als Schlüssel zum Lernerfolg
Das Lesetagebuch an sich ist bereits eine wundervolle Methode, die Schüler*innen in ihren Stärken zu fördern. Für mich ist es das Schweizer Taschenmesser des Deutschunterrichtes – eine Methode, die nicht nur die Lesehaltung sondern auch vielfältige Kompetenzen nachhaltig fördert.
Die Differenzierung im Lesetagebuch ist daraufhin ein weiterer Schritt, um den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schüler*innen gerecht zu werden und ihre Lesekompetenz nachhaltig zu fördern, ohne sie zu überfordern. Ob durch die Verwendung von Romanen in einfacher Sprache, die Bereitstellung mehrerer Romane oder die differenzierte Gestaltung der Aufgaben – jede dieser Methoden trägt dazu bei, eine inklusive und fördernde Lernumgebung zu schaffen.
Pssst – Ich hab noch was zum Schluss.
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