Der Jugendroman „Rattensommer“ von Juliane Pickel ist ein Roman der großen Gefühle:
enttäuschte Liebe
tiefsitzender Hass
schwelende Wut
innere Verzweiflung
und eine zerbröckelnde Freundschaft.
Die Geschichte um Lou und ihre beste Freundin Sonny nimmt die Leser*innen mit auf eine holprige Reise des Erwachsenwerdens, bei der Lou sich emanzipieren und Sonny endlich ihren Schmerz sehen darf. Denn mit dem Freikommen des „Mörders“ von Sonnys Mutter wird ein Stein ins Rollen gebracht, der für beide Mädchen tiefgreifende Veränderungen mit sich bringt.
📘📘 Zusammenfassung 📘📘
Der Beginn der Ferien mit seinen heißen Tagen verspricht Sonne, Freiheit und Spaß. Eigentlich die besten Bedingungen für die Freundinnen Lou und Sonny. Doch ihr Sommer wird von einem unerwarteten Ereignis überschattet: Der Mann, der vor drei Jahren Sonnys Mutter umgebracht hat, kommt wesentlich früher frei, als gedacht – und zieht zurück in sein Haus am See.
Als Sonny davon erfährt, kocht in ihr die Wut hoch. Sie wird nur noch angetrieben von „einem glühend heißen, tiefroten Hass“ (S.39). Das junge Mädchen hat keinen Platz mehr für irgendetwas Anderes als ihre Rachepläne, denn sie will Vergeltung.
Dabei schreckt sie scheinbar vor sehr wenig zurück. Als sie erfährt, dass einer ihrer Schulkameraden bei Hans Bender zuhause aushilft, schmeißt sie sich ganz bewusst an ihn heran, um an Informationen zu kommen. Dass sich kurz davor ein leises Knistern zwischen den Mädchen entwickelt hat, eine leidenschaftliche Nacht, scheint für Sonny nicht mehr von Bedeutung und so bleibt Lou zurück in ihrer Enttäuschung. Sie muss erkennen, dass „Wasser wahrscheinlich nicht der einzige Ort ist, an dem man ertrinken kann.“ (S.57)
Verzweifelt kämpft sie um die Aufmerksamkeit ihrer Freundin, doch diese steigert sich in einen wahren Wahn hinein – während Lou sich nun die Zeit nimmt, ihre Situation zu reflektieren. Inmitten von Sonnys Verrat und Selbstzerstörung muss Lou erkennen, wie toxisch das Verhältnis zwischen ihnen geworden ist, aber auch wie unfair die Situation innerhalb ihrer Familie sich abspielt. Auch zuhause ist Lou nämlich scheinbar die zweite Wahl. Gegen ihre Schwester – das Sternenkind, das ein Jahr vor ihr zur Welt kommen sollte – kann sie offenbar in den Augen ihrer Mutter nicht bestehen…
Rezension
In ihrem Jugendroman „Rattensommer“ gelingt Juliane Pickel ein Meisterwerk der Gefühle in einer zeitweise sehr poetischen Sprache. Es hat mich stellenweise an die Sprache von Ewald Arenz erinnert – ein Duktus, den ich persönlich sehr mag. Die kurzen Kapitel machen die Lektüre übersichtlich, zudem nimmt das Lesen dabei Tempo auf, sodass die Jugendlichen mitgenommen werden.
Sonny und Lou sind sehr eigenwillige Figuren. Lou selbst fasst es anfangs ziemlich passend in den Zeilen zusammen:
„Sonny und ich, das funktioniert ungefähr so:
Sonny: dicke Hose – ich: Kaninchen vor der Schlange.
Sonny: Was kostet die Welt? – ich: Wann geht sie unter?
Sonny wirft einen Stein – ich bezahle die kaputte Scheibe“ (S.9)
Auch wenn sich hier schon das Toxische andeutet, braucht Lou noch einige Enttäuschungen, bis sie es selbst erkennen kann. Dennoch bieten gerade diese Unterschiede viel Identifikationspotenzial für die jugendlichen Leser. Auch die entstehende Liebe zwischen den beiden, dieses Austesten der eigenen Sexualität ist ein Thema, das gerade in der Mittelstufe eine wichtige Rolle spielt.
Diese Mischung aus Entwicklungsroman, spannender Story um die Rache an Hans Bender und einer wundervollen Sprachmelodie der Gefühle macht aus dem „Rattensommer“ für mich eine ideale Übergangslektüre in die Oberstufe: Der Roman bietet recht viele analytische Anknüpfungspunkte zur Raum- , Sprach- und Motivanalyse, während die spannungsgeladene Story die Schüler*innen bei der Stange hält.
Auch die Erwachsenen sind ambivalent gezeichnet, sodass sie ebenfalls in den Fokus einer Stunde gesetzt werden können. Sonnys Vater Marek ist gefangen in diesem Kampf gegen die Burgerkette, um endlich Gerechtigkeit für seine Frau zu erstreiten. Lous Eltern kämpfen mit ihren eigenen Schatten der Vergangenheit: Die Mutter idealisiert Lous Schwester, die bereits bei der Geburt gestorben ist und versucht ihr „Wunder“ Lou nun in dieses Idealmodell der Schwester zu pressen. Der Vater hingegen erträgt vieles still, doch versucht er sich nun, als es um die Gesundheit der Mutter geht, gegen sie durchzusetzen und löst damit nur einen „Kalten Krieg“ zuhause aus.
Der Jugendroman öffnet damit also einige Erzählstränge, die jeder für sich einen geschlossenen Handlungsbogen bilden und geschickt miteinander verwebt werden.
👨🏫 Einsatz in der Schule
Aus der Rezension des Jugendromans „Rattensommer“ ist bereits hervorgegangen, wo die Stärken des Romans für die Schule liegen. Für mich bietet sich die Lektüre in der 9./10.Klasse an, gerade durch dieses Gegenüberstehen von spannenden Erzählsträngen, Problematiken des Erwachsenwerdens und den unterschiedlichen Analyseansätzen, die das Buch bietet.
Themen, die sich bei diesem Jugendroman für Aufgaben anbieten:
- Traumatische Erlebnisse und Konsequenzen: Tod von Sonnys Mutter / Lous Schwester
- Toxische Freundschaften: Wo fängt das Toxische an?
- Erste Liebe und Sexualität
- Kommunikation innerhalb der Familie analysieren
- Raumanalyse: altes Schwimmbad, Benders Haus, das Café von Blix
- Entwicklung der Freundschaft von Sonny und Lou
- Motivik analysieren: der Milan, die Wunde des Katzenbisses, der Gestank, der See
Darüber hinaus lassen sich einzelne Szenen herausgreifen für eine Sprachanalyse oder das Anfertigen ähnlich poetischer Beschreibungen. Für die Klassen, die Kommunikationstheorien behandeln, lassen sich viele Szenen herausgreifen, die man als Filmszene oder als Hörspiel nachempfinden kann, um gerade die verbale, nonverbale und paraverbale Kommunikation zu analysieren.
*** Fazit ***
Von mir gibt es für den Jugendroman „Rattensommer“ eine volle Empfehlung.
Die Schüler*innen sollten schnell in die Geschichte reinfinden. Eventuell kann es für sie schwer sein, tiefere Sympathie für Sonny zu entwickeln, deren Manipulation ziemlich schnell zu Tage tritt, aber die restlichen Figuren sowie diese Spannung hinsichtlich ihrer Vergeltung wiegen dies wieder auf.
Wer nach einer Lektüre sucht, welche die Schüler*innen mitnimmt auf der Entwicklung hin zu den Romanen der Oberstufe, ist mit dem „Rattensommer“ definitiv gut beraten.😉
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